Chronisches Schmerzsyndrom nach Vasektomie

Experte: Priv.-Doz. Dr. med. Joachim Leißner

Priv.-Doz. Dr. Joachim Leißner

Priv.-Doz. Dr. Joachim Leißner ist seit 2005 Chefarzt der Urologischen Klinik Köln-Holweide. Diese gehört zu den Kliniken der Stadt Köln. Die Sterilisation beim Mann zählt nicht zu den operativen Schwerpunkten von Dr. Leißner. In 2003 hat er sich jedoch wissenschaftlich mit dem Thema auseinandergesetzt und an der Publikation „Die ambulante Vasektomie“ als Autor mitgewirkt. Darin beschäftigten sich die Verfasser u.a. mit den Risiken und Komplikationen eines Sterilisationseingriffes beim Mann (Vasektomie).

Frage vasektomie.de: Die Vasektomie ist eine sichere und risikoarme Verhütungsalternative, bspw. zur Pille. Wie hoch ist Ihre Zahl der durchgeführten Vasektomien?
Antwort Priv.-Doz. Dr. Leißner: Ich habe bisher ca. 550 Vasektomien durchgeführt.

Frage vasektomie.de: Sie sind einer der Autoren „Die ambulante Vasektomie“ (erschienen in 2003). Was sind die Risiken eines Vasektomie-Eingriffes? Zu welchen Komplikationen kann es kommen?
Antwort Priv.-Doz. Dr. Leißner: Die komplette Aufklärung über die Risiken und Komplikationen einer Vasektomie ist sehr umfangreich und würde sicherlich den hier vorgegebenen Rahmen sprengen. Ich möchte mich deshalb hier auf die wichtigsten Aspekte beschränken.

Zunächst sollte, wie bei jeder Operation, über das Risiko einer Nachblutung, Wundinfektion und Schwellung des Operationsgebietes aufgeklärt werden. Im weiteren Verlauf muss darauf hingewiesen werden, dass sich so genannten Spermagranulome entwickeln können. Es kann zur Entwicklung eines chronischen Schmerzsyndroms (Post-Vasektomie-Syndrom) kommen. Weiterhin besteht nach der Durchtrennung der Samenleiter das Risiko einer spontanen Rekanalisation. Deswegen sollten alle Männer darauf hingewiesen werden, bis zum zweimaligen Nachweis einer Azoospermie keinen ungeschützten Verkehr durchzuführen.

Frage vasektomie.de: Wie definiert sich das sogenannte Post-Vasektomie-Syndrom (PVS)? Welche Symptome sind für das PVS kennzeichnend? Was sind die Beschwerden von betroffenen Patienten?
Antwort Priv.-Doz. Dr. Leißner: Unter einem Post-Vasektomie-Syndrom versteht man chronische Schmerzen im Bereich des Hodens oder Nebenhodens ohne Nachweis einer Entzündung in einer dieser Strukturen. Leider ist diese Definition in der Realität als relativ unscharf und ungenau anzusehen, da in den seltensten Fällen eine dezidierte und systematische Schmerzerfassung erfolgt. Letztlich können in diese Gruppe sowohl Männer mit nur gelegentlich auftretenden ziehenden Beschwerden im Bereich des Hodens, als auch schwerste Schmerzzustände gezählt werden.

Frage vasektomie.de: Bisher können aufgrund unzureichender Forschung keine eindeutigen Ursachen für das Auftreten eines Post-Vasektomie-Schmerzsyndroms genannt werden. Was denken Sie, sind die Ursachen für das Post-Vasektomie-Schmerzsyndrom?
Antwort Priv.-Doz. Dr. Leißner: Die Ursachen des Post-Vasektomie-Syndroms sind bislang nicht eindeutig geklärt. In der Literatur gibt es verschiedene Erklärungen, wie z.B. die Erweiterung der samenführenden Kanälchen im Nebenhoden, die Entwicklung von Spermagranulomen, ein ständiger Reizzustand von Nerven, die im Bereich des Samenstranges verlaufen sowie die Entwicklung einer Fibrose im Bereich des Nebenhodens. Insbesondere die Vermutung, dass sich im Bereich des Nebenhodens ein Umbauprozess durch den mangelnden Abfluss der Samenzellen entwickelt, erklärt die Beobachtung, dass das Post-Vasektomie-Syndrom auch mehrere Jahre nach dem Eingriff auftreten kann.

Neben den oben genannten organischen Faktoren sollten auch durchaus psychosomatische Aspekte in Erwägung gezogen werden. In der eigenen Erfahrung gibt es einen gewissen Anteil an Männern mit einem chronischen Schmerzsyndrom nach Vasektomie, bei denen sich dann nach einem längeren Gespräch herausstellt, dass sie letztendlich den Zustand nach Vasektomie nicht wirklich akzeptieren konnten. Deswegen sollte bereits im Rahmen der Aufklärung für eine Vasektomie darauf geachtet werden, dass die Familienplanung wirklich abgeschlossen ist und das Alter der Patienten über 30 Jahre liegt.

Frage vasektomie.de: Die Häufigkeit für das Auftreten eines PVS wird in der Öffentlichkeit unterschiedlich wahrgenommen. Mal ist bspw. 1-5% die Rede (in den deutschen Medien), mal von 2-8% (angloamerikanischen Medien). Wie ist Ihrer Meinung nach dieser Unterschied zu erklären?
Antwort Priv.-Doz. Dr. Leißner: Die Unterschiede der Angaben über die Häufigkeit des Post-Vasektomie-Syndroms sind durch mehrere Gründe bedingt. Zum einem liegt dies sicherlich an der wie oben erwähnten recht unscharfen Definition des Krankheitsbildes. Des Weiteren ist die Vasektomie ein kleiner chirurgischer Eingriff, der von nahezu jedem urologischen Facharzt angeboten wird. Damit gibt es kaum Zentren, die Vasektomien in einer sehr großen Fallzahl durchführen. Leider entfällt damit auch die Möglichkeit der systematischen Analyse des Verlaufes einer größeren Anzahl an Patienten nach Vasektomie.

Frage vasektomie.de: Bleiben wir bei den genannten Zahlen von 1-5% für die Häufigkeit eines PVS. Denken Sie, dieser Prozentsatz ist realistisch?
Antwort Priv.-Doz. Dr. Leißner: Aus eigener Erfahrung würde ich die Häufigkeit von über 5% als deutlich zu hoch für das Vorliegen eines Post-Vasektomie-Syndroms einstufen. Ein Post-Vasektomie-Syndrom mit hochgradigem Leidensdruck und der Notwendigkeit einer weitergehenden, eventuell sogar operativen Therapie würde ich bei etwa 1 % sehen.

Frage vasektomie.de: Existiert ein Zusammenhang zwischen den beiden Komponenten „Vasektomie-Erfahrung des Urologen“ und „Wahrscheinlichkeit eines Post-Vasektomie-Syndroms“? Kann man sagen, dass bei einem Urologen, der viele Vasektomien durchführt, weniger Betroffene mit einem  Post-Vasektomie-Syndrom vorkommen?
Antwort Priv.-Doz. Dr. Leißner: Natürlich spielt immer die Erfahrung eines Arztes in der Behandlung seiner Patienten eine wesentliche Rolle. Auf der anderen Seite konnte in der Literatur bislang nicht gezeigt werden, dass die Häufigkeit des Post-Vasektomie-Syndroms mit der Erfahrung des Operateurs abnimmt. Ich persönlich denke, dass die Sorgfalt bei der Durchführung des Eingriffs mindestens genauso wichtig, wie die Erfahrung des Operateurs.

Frage vasektomie.de: Wie kann Männern mit einem PVS geholfen werden? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es hier?
Antwort Priv.-Doz. Dr. Leißner: Die Behandlung des Post-Vasektomie-Syndroms folgt in der Regel einem Stufenprinzip. Allerdings sollten die Männer bereits zu Beginn darauf hingewiesen werden, dass die Therapie durchaus langwierig und teilweise auch frustran verlaufen kann. In erster Linie kommen antiphlogistisch und analgetisch wirkende Medikamente zum Einsatz, wobei sich insbesondere zur Therapie vermuteter nervaler Schmerzen in den letzten Jahren deutlich bessere Medikamente entwickelt haben. Bei Versagen der medikamentösen Therapiemaßnahmen und persistierendem Leidensdruck muss dann das operative Vorgehen empfohlen werden. Hierbei wurden mit der Durchführung einer Vasovasostomie oder einer Vasoepididymostomie gute Ergebnisse erzielt. Alternativ kommen die Entfernung des Nebenhodens oder die Denervierung des Samenstranges zum Einsatz.

Herr Priv.-Doz. Dr. Leißner, herzlichen Dank für das Interview.
Veröffentlicht am 09.10.2013