Interview zum Post-Vasektomie-Syndrom
Experte: Dr. med. Wolf-Hartmut Weiske
Dr. med. Wolf-Hartmut Weiske kann sich an seine erste Vasektomie nicht mehr erinnern. Es dürfte etwa 1972 gewesen sein. Insgesamt hat er an die 4.000 Vasektomien durchgeführt. Seit 2005, im Zuge seiner Praxisübergabe, führt er keine Vasektomien mehr durch.
Dr. med. Wolf-Hartmut Weiske ist Urologe mit der Zusatzbezeichnung Andrologie. Mittels Forschungsstipendien konnte er drei Jahre in den USA (USC Los Angeles) und am LKA Salzburg auf andrologischem Gebiet arbeiten. Er war 20 Jahre Mitglied des Arbeitskreises Andrologie der Deutschen Gesellschaft für Urologie und hat sich auf den Gebieten mirkrochirurgische Refertilisierung und erektile Dysfunktion um die Fort- und Weiterbildung der deutschen Urologen bemüht.
Dr. Weiske war Lehrbeauftragter an der Universität Gießen. 1980 hat er sich niedergelassen und war außerdem operativ als Belegarzt tätig. 2005 hat er dann seine Praxis an seinen langjährigen Assistenten Dr. Kaisser übergeben. Seither führt er nur noch die mikrochirurgischen Operationen zur Refertilisierung durch. Insgesamt hat Dr. Weiske über 100 Publikationen (Artikel, Bücher, Buchbeiträge und Lehrfilme) verfasst. Er ist Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler Gesellschaften.
Frage vasektomie.de: Bezüglich der Vasektomie und dem Post-Vasektomie-Syndrom haben Sie verschiedene Publikationen veröffentlicht. Bitte nennen Sie uns einige davon.
Antwort Dr. Weiske: Ich habe mich nicht speziell mit dem Post-Vasektomie-Syndrom beschäftigt, sondern im Rahmen meiner Aufgaben im Arbeitskreis Andrologie ganz allgemein mit der Vasektomie und somit auch mit den Risiken / Komplikationen. Insgesamt habe ich 9 Beiträge zur Vasektomie publiziert. Die wichtigsten sind:
- Leitlinie Vasektomie des AKA der DGU (1999)
- Weiske W-H: Vasectomy review. Andrologia 33. 125-134 (2001)
- Weiske W-H: Vasektomie – aktueller Stand J f. Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 1; 222-227 (2004)
Frage vasektomie.de: Was sind die Risiken einer Vasektomie?
Antwort Dr. Weiske: Risiken nach Vasektomie gibt es praktisch keine. Diskutiert wurden 1995 ein erhöhtes Risiko für Prostatakrebs und Hodenkrebs, was sich nicht bestätigen ließ. Endokrinologische Veränderungen finden ebenfalls nicht statt. Die Spermiogenese (Samenzellbildung) verändert sich auch nicht; auch nach sehr langen Vasektomie-Intervallen, wie in einer Studie histologischer Untersuchungen von Hodenbiopsaten, die anlässlich einer Refertilisierungsoperation entnommen wurden, nachgewiesen werden konnte. Bei den Komplikationen nach Vasektomie stehen Hämatome an erster Stelle (0,04 bis 18,2%) gefolgt von Entzündungen besonders im Nebenhoden (0 bis 6%), Schwellung des Hodensacks, Verwachsungen, Wundheilungsstörung. Zwischen Komplikationen und Risiken gibt es einen Unterschied. Risiken sind eine Sache und Komplikationen etwas anderes. Risiken sind der Sache immanent, d.h. sie können in einer gewissen Anzahl in % vorkommen. Komplikationen entstehen und sind beim Operieren in erster Linie bedingt durch die Fähigkeiten des Operateurs. Es konnte in Studien nachgewiesen werden, dass mit steigender Operationszahl pro Jahr die Komplikationsrate extrem absinkt und unter 1% liegt.
Frage vasektomie.de: Was verstehen Sie selbst unter dem Post-Vasektomie-Syndrom (PVS)? Was sind hier die Beschwerden (Symptome) der Betroffenen?
Antwort Dr. Weiske: Das PVS beinhaltet Symptome im Skrotalbereich, die mit einer Vasektomie in Verbindung gebracht werden. Es handelt sich dabei um sehr diffuse Schmerzen im Hodenbereich und Skrotum mit Zunahme der Beschwerden beim Geschlechtsverkehr. Häufig wird von einem Druckgefühl berichtet.
Frage vasektomie.de: Die Ursachen für das PVS sind bisher nicht bekannt bzw. unzureichend erforscht. Oft ist von der Vermutung zu lesen, dass der Druckausgleich in den Hoden nicht mehr richtig funktioniert . Es könnten bei dem Eingriff auch Nerven geschädigt worden sein. Was meinen Sie dazu?
Antwort Dr. Weiske: Um diese Frage zu beantworten, sollte man sich klar machen, was nach einer Vasektomie eigentlich passiert. Die Samenleiter sind unterbrochen. Samenzellen können somit nicht mehr dem Ejakulat beigemischt werden. Samenzellen werden aber auch beim vasektomierten Mann ein Leben lang produziert und gelangen in den Nebenhoden, wo sie metabolisiert , sprich entsorgt werden. Wenn die Produktion im Hodengewebe (Hoden) größer ist als die Entsorgung im Nebenhoden, steigt dort der Druck, was zu einer Ruptur des Nebenhodenkanälchens (blow out) führen kann und durch eine Entzündung in einem Verschluss des Nebenhodenkanälchens endet (Granulom). Diese Granulombildung im Nebenhoden findet unbemerkt statt. Das geschädigte Organ nach einer Vasektomie ist somit der Nebenhoden und nicht wie allgemein angenommen der Hoden. Einen Rückstau vom Nebenhoden in den Hoden gibt es beim Mann nicht, im Gegensatz zu den meisten Tieren, bei denen eine Schädigung des Hodengewebes nachweisbar ist. Um auf die o.g. Frage zurückzukommen. Einen Druckausgleich zwischen Nebenhoden und Hoden gibt es nicht.
Frage vasektomie.de: Können durch den geschädigten Nebenhoden diese chronischen Schmerzen auftreten? Sind die gebildeten Granulome für die chronischen Schmerzen verantwortlich?
Antwort Dr. Weiske: Von der Granulombildung im Nebenhoden merkt der Betroffene nichts. Diese Granulome sind mikroskopisch klein. Der Nebenhodenverschluss kann erst während einer Refertilisierungsoperation festgestellt werden. Nach meinen Erfahrungen haben die Patienten mit einem Verschluß im Nebenhoden keine Beschwerden. In histologischen Untersuchungen von Samenleitern nach Vasektomie, die anlässlich einer Refertilisierungsoperation gewonnen wurden, konnten wir nachweisen, dass es irgendwelche Veränderungen an nervalen Strukturen nicht gibt. Diese Refertilisierungsoperationen fanden nicht aufgrund eines PVS statt. Es handelte sich um eine Studie zur Morphologie der Samenleiterenden nach Vasektomie.
Frage vasektomie.de: Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen für das Post-Vasektomie-Syndrom?
Antwort Dr. Weiske: Ich habe bei meinen über 4.000 vasektomierten Männern kein Postvasektomiesyndrom gesehen bzw. behandeln müssen. Ich muss aber auch dazu sagen, dass das Vorgespräch und die Aufklärung des Patienten sehr sorgfältig durchgeführt wurden und immer dann, wenn der Verdacht nahe lag, dass die Entscheidung nicht hundertprozentig ist oder eine gewisse psychische Labilität vorliegt, habe ich dazu geraten, die Operation auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Das galt vor allem für jene Männer, die sich auf Drängen der Ehefrau vasektomieren lassen wollten und selbst aber nicht dahinter standen. Ich bin somit überzeugt, dass die Hauptursache des PVS im Bereich der Psyche liegt und entsprechend behandelt werden muss.
Frage vasektomie.de: In deutschen Medien ist bzgl. dem Auftreten des Post-Vasektomie-Syndroms teilweise die Rede von 1-5%, in angloamerikanischen Medien von 2-8%. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?
Antwort Dr. Weiske: Das könnte etwas mit den Krankenkassen zu tun haben. Wenn ich richtig informiert bin, so wurden bei Nachweis eines PVS in den USA die Refertilisierungen von den Krankenkassen teilweise oder voll bezahlt. So wird von Urologen möglicherweise öfter die Diagnose PVS gestellt, um im Sinne des Patienten zu handeln, welcher eine Refertilisierung wünscht. In der BRD besteht für die Refertilisierung nach Vasektomie seit Jahrzehnten keine Leistungspflicht der Krankenkassen.
Frage vasektomie.de: Sind die in deutschen Medien genannten Zahlen 1-5% für die Häufigkeit eines PVS realistisch (oder zu hoch / zu gering)? Falls nicht, wie hoch ist Ihrer Meinung nach in Deutschland durchschnittlich das Risiko eines Post-Vasektomie-Syndroms nach der Vasektomie?
Antwort Dr. Weiske: Ich halte die Zahlen für viel zu hoch. Die Vasektomie hätte nicht eine so breite Akzeptanz weltweit, wenn es in dieser Häufigkeit Beschwerden nach einer Vasektomie geben würde. Denn das würde Millionen von Männern betreffen. Bereits 1991 gab es schon über 100 Millionen vasektomierte Männer auf der Welt. Allein in den USA werden pro Jahr 500.000 Männer vasektomiert.
Frage vasektomie.de: Warum existieren Ihrer Meinung nach in Medien so hohe Zahlen wie 10% oder 30% bzgl. des Risikos für das PVS?
Antwort Dr. Weiske: Mir sind diese Zahlen nicht bekannt. Ich halte diese auch für sehr unwahrscheinlich, weil es sich dann um viele Millionen betroffener Männer handeln würde, die sich einer Vasektomie unterzogen haben und als Krankheitsgruppe bekannt wären. Die Vasektomie wäre mit Sicherheit in Verruf gekommen und hätte nie die Stellung als sicherste und komplikationsärmste Methode zur Familienplanung durch den Mann erreicht. Zudem konnten die Ursachen für das PVS bisher auch noch nicht eindeutig beschrieben werden.
Frage vasektomie.de: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Vasektomie-Erfahrung des Urologen und dem Auftreten des Post-Vasektomie-Syndroms? Sprich, kommen bei einem erfahren Urologen, welcher regelmäßig Vasektomien durchführt, weniger Patienten mit Post-Vasektomie-Syndrom vor?
Antwort Dr. Weiske: Das wäre reine Spekulation. Tatsache aber ist, wie vorher schon erwähnt, dass die Komplikationsraten mit zunehmender Operationsfrequenz geringer werden und damit bspw. das Gewebe weniger traumatisiert wird.
Frage vasektomie.de: Waren bei den Männern, bei denen das Post-Vasektomie-Syndrom aufgetreten ist, Gemeinsamkeiten feststellbar (Körperliche Untersuchung, Psyche des Patienten, Familienverhältnisse …)?
Antwort Dr. Weiske: Wie gesagt, aus dem eigenen Krankengut ist mir kein Fall von PVS erinnerlich. Aber in meiner Tätigkeit als Mikrochirurg für Refertilisierungsoperationen habe ich einige wenige Fälle gesehen und fand bei allen psychische Veränderungen vor und keine organischen Auffälligkeiten.
Frage vasektomie.de: Wie kann Männern mit einem Post-Vasektomie-Syndrom geholfen werden? Welche Möglichkeiten gibt es?
Antwort Dr. Weiske: Meiner Meinung nach sollten primär psychotherapeutische Maßnahmen angestrebt werden. Meist sind die Patienten aber uneinsichtig und lehnen eine solche zeitintensive Therapie ab. Dann kann man, obwohl keine kausale Therapie, den kürzeren Weg wählen und eine Refertilisierung durchführen.
Herr Dr. Weiske, herzlichen Dank für das Interview.
Veröffentlicht am 25.07.2013